SISSINGHURST - Landlust gepaart mit Weltoffenheit

Im September führte mich eine Gartenreise nach Südengland. Unter dem Titel "Klassik trifft Moderne" hatte uns Hermann Gröne, der Autor der Reise, ein überzeugendes Programm aus besonderen Gärten zusammengestellt. Renate Behrmann (IGA Berlin 2017) übernahm für ihn kurzfristig die fachliche Reisebegleitung. Zusammen mit Busfahrer Peter Gartz (Reiseveranstalter AHA-Reisen) bildeten sie ein souveränes Team. Peter entpuppte sich als "Universal-Gelehrter" alter Schule, ohne je belehrend zu wirken. Getreu seinem Motto "Reisen bildet" informierte er uns unterwegs auf niederrheinisch unterhaltsame Art über den soziokulturellen Background des Gastgeberlandes ("Warum ist der Engländer so wie er ist?"). Nach der schnellen Passage mit dem Bus-Shuttle durch den Eurotunnel begrüßte uns in Folkstone "Englischer Regen". Wenige Kilometer später riss der Himmel auf und freudigstrahlende Herbstsonne ließ alle Wetterschmähungen dahinschmelzen. Die Grafschaft Kent präsentierte sich mit ihrer parkartigen Landschaft aus Feldern, Hecken und Einzelbäumen von ihrer schönsten Seite. Mit Sonne im Herzen erreichten wir unser erstes Ziel: Sissinghurst

1995 führte mich die Abschlußexkursion meines Landschaftsarchitektur-Studiums schon einmal an diesen besonderen Ort. Damals hatte ich das Gefühl durch ein begehbares, dreidimensionales Gemälde zu schreiten. Aus den Resten eines Schloßes hatten die Schriftstellerin Vita Sackville-West (1892-1962) und der Diplomat Harold Nicolson (1886-1968) seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts einen der faszinierendsten Gärten Englands entwickelt. Architektonisch gesehen ist in Sissinghurst der Garten der "Flur" des Wohngebäudes. Die Gebäudeteile sind über dem gesamten Anwesen verstreut. Möchte ich z.B. von der Bibliothek zum Arbeitszimmer gelangen muss ich eine Passage durch den Garten wählen. Auf diese Weise rückt der "Flur" ins Zentrum des Wohnens. Der "Flur" offenbart im Wechsel der Jahreszeiten ein Eldorado an sich täglich wandelnden Sinneseindrücken. Dieser "Flur" dient bis heute als florales Experimentierfeld für Strukturen, Proportionen und Farben.  Jeder neue Head Gardener erweitert und perfektioniert diese seit 1936 öffentlich zugängliche "Ideensammlung". Zusammen mit der unkonventionellen Lebensweise von Vita und Harold eröffnet Sissinghurst eine unerschöpfliche Inspriationsquelle für Besucherinnen und Besucher aus aller Welt. 

2014 rückte ein neuer Aspekt in meine Betrachtung von Sissinghurst: Die Verbindung zur Landschaft.  Von der Aussichtskanzel des Zwillingsturms im Zentrum des Gartens hat man einen spektakulären Überblick auf das Anwesen und die umgebende Landschaft. Der zunächst eigenständig wirkende Garten spiegelt die Landschaft subtil als Miniatur: Felder transformieren zu Gartenzimmern mit unterschiedlichen Themen; Landschaftshecken werden zu Formhecken, bepflanzten Hauswänden und Mauern; Einzelbäume wandeln sich zu Solitärgehölzen und Blickpunkten. Selbst einzelne Gehöfte und Landhäuser tauchen im Garten als wiedererichtete Gebäudeteile wieder auf. Das "Unbeherrschbare" wandelt sich zum "Beherrschbaren" - eigene Ideen können ungestört spriessen - die Welt wird ein überschau- und veränderbares Labor.     

Weitere Bilder von dem Besuch in Sissinghurst gibt es hier.

Mehr über Sissinghurst:

Garten-Blog von Sissinghurst

 

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